​Slutwalk Manifest
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Der Slutwalk München ist eine intersektional-queerfeministische Initiative. Wir kämpfen für sexuelle Selbstbestimmung und die Anerkennung von sexueller Vielfalt auch jenseits der binären Geschlechterordnung. Unser Schwerpunkt liegt dabei auf dem Protest gegen sexualisierte Gewalt sowie deren Verharmlosung und Rechtfertigung:
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Sexualisierte Gewalt - ist die Instrumentalisierung einer sexuellen Handlung um Macht auszuüben und zu unterwerfen. Sexualisierte Gewalt ist jedes Verhalten, das die sexuelle Selbstbestimmung, die sexuelle Integrität oder die sexuelle Intimsphäre eines Menschen verletzt. Wir kämpfen gegen sexualisierte Gewalt gegenüber allen Geschlechtern.
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Victim-Blaming - Durch Falschannahmen zum Thema sexualisierte Gewalt, wie z.B. die Annahme, dass Frauen* durch das Tragen bestimmter Kleidung eine Mitschuld an Übergriffen haben, findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Dies führt zu einer Verharmlosung und Rechtfertigung von sexualisierter Gewalt und die Täter*innen werden aus der Verantwortung genommen.
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Slutshaming greift Personen für ihr sexuelles Verhalten an und redet ihnen Schamgefühle ein. In erster Linie werden Frauen* abgewertet, wenn sie ihre Sexualität auf eine Weise ausdrücken, die nicht den stereotypen Erwartungen entspricht. Ihr Verhalten wird dann als promiskuitiv und sie selbst als Schlampen bezeichnet. Auch andere Geschlechter sind betroffen, wenngleich nicht in diesem systematischen Ausmaß. Frauen* können angegriffen werden, weil sie offen mit ihrer Sexualität umgehen, weil sie mit mehreren Partner*innen Sex haben, weil sie sich vermeintlich „provokativ“ kleiden oder weil sie ein erfülltes Sexualleben genießen und mutig ihre eigene Sexualität beanspruchen. Slutshaming betrifft Menschen unabhängig ob und in welcher Form sie ihr Sexualleben tatsächlich gestalten.
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Sexismus – bezeichnet die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht sowie die Einstellungen und Strukturen, die diese Diskriminierung begünstigen. Sexismus wie sexualisierte Gewalt hängen eng mit bestehenden ungleichen Machtverhältnissen, patriarchalen Strukturen zusammen. Das gesellschaftliche Zusammenleben ist geprägt von einer hierarchischen Beziehung zwischen den Geschlechtern. Frauen* sind Männern* in den unterschiedlichsten Lebensbereichen strukturell untergeordnet. Diese strukturelle Gewalt gegen Frauen* fördert einerseits sexualisierte Gewalt und Sexismus und wird anderseits durch diese stabilisiert.
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Geschlechterstereotype - Das soziale Geschlecht, d.h. Unterschiede im Verhalten, Fühlen und Denken zwischen Frauen* und Männern* sind nicht angeboren, sondern sozial konstruiert. Aus dieser Konstruktion resultieren Geschlechterrollen- und stereotype. Mit diesen Vorstellungen über vermeintlich natürliche „männliche“ und „weibliche“ Eigenschaften gehen Einschränkungen, Bewertungen, Verhaltenserwartungen und unterschiedliche Machtpositionen einher. Diese binären Zuschreibungen sind in sich gewaltvoll, da sie keine Perspektivwechsel oder Abweichungen zulassen. Frauen* wie Männer* werden in Rollen gepresst und leiden darunter. Wir treten für eine Entfaltung der Menschen frei von Stereotypen und gegen eine Hierarchisierung der Gesellschaft entlang von Geschlecht und anderen Identitätskategorien ein.
Unsere Vision
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Der intersektionale Queerfeminismus, den wir vertreten ist radikal, in dem Sinne, dass wir davon überzeugt sind, dass es nicht nur Reformen und Verbesserungen, sondern einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel braucht. Wir wollen eine andere Welt denkbar machen. Unsere Idee einer emanzipatorischen Gesellschaft und unser Aktivismus fußen auf folgenden Grundsätzen:
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Freiheit
In unseren Aktionen beziehen wir uns in erster Linie auf Frauen*, da diese in einem erheblich höheren Ausmaß von Sexismus und sexualisierter Gewalt betroffen sind. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass alle Menschen unter dem Patriarchat leiden. Privilegien können nicht mit einem glücklicheren Leben gleichgesetzt werden. Daher wünschen wir uns für alle menschenfreundlichere Lebensmodelle fernab von einengenden Rollenbildern und Stereotypen. Wir glauben, dass eine feministische Vision nur möglich ist, wenn alle Geschlechter befreit sind.
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Soziale Gerechtigkeit
Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Struktur einer Gesellschaft und dem Auftreten von sexueller Gewalt: Je hierarchischer eine Gesellschaft organisiert ist, desto öfter kommt es zu Übergriffen. Je egalitärer und gerechter eine Gesellschaft ist, desto weniger Übergriffe gibt es. (1) Wir kritisieren eine auf Materialismus und Karrierismus ausgerichtete Gesellschaft, in der Leistung alles und der Mensch nichts mehr wert ist. Wir wenden uns gegen eine neoliberale Denkweise, wonach jedes Individuum selbst verantwortlich für sein Schicksal ist. Stattdessen rücken wir die Erkenntnis wechselseitiger Abhängigkeit, der Interdependenz, in den Fokus. Wir treten für eine Denkweise ein, die nicht die Lohnarbeit ins Zentrum stellt und nicht entlohnte Tätigkeiten, wie Sorgearbeit, aufwertet. Damit verabschieden wir uns auch vom Gleichstellungsgedanken, der letztendlich keine radikale gesellschaftliche Veränderung anstrebt, sondern den Status Quo als Maßstab beibehält. Wir brauchen neue Maßstäbe für das gesellschaftliche Zusammenleben, wie soziale Solidarität, Mitgefühl und Gemeinschaft.
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Sexuelle Selbstbestimmung
Niemand darf wegen seiner*ihrer Art zu begehren, sich zu kleiden, seiner*ihrer Sexualität Ausdruck zu verleihen, abgewertet werden. Wir fordern eine Gesellschaft, in der jeder Mensch so aussehen darf, wie er*sie sich wohlfühlt und begehren darf, wen er*sie begehrt, solange dies konsensuell also eindeutig von beiden Seiten einvernehmlich geschieht. Die persönliche Entscheidung für oder gegen eine sexuelle Annäherung ist zu jeder Zeit und unter allen Umständen zu respektieren - Nein heißt Nein! Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Wahrung der persönlichen Grenzen sowie die Unantastbarkeit der sexuellen Integrität eines jeden Menschen sind uneingeschränkt einzuhalten.
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Diversität
„Es sind nicht unsere Unterschiede, die uns trennen. Es ist unsere Unfähigkeit, diese Unterschiede zu erkennen, zu akzeptieren und zu feiern“ (Audre Lorde).
Innerhalb des Feminismus gibt es die unterschiedlichsten Strömungen und Ansätze. Es ist uns wichtig verschiedene Positionen nebeneinanderstehen zulassen, solange sie nicht rassistisch, trans*feindlich oder in irgendeiner anderen Art und Weise menschenverachtend sind, wir wollen uns nicht spalten lassen. In unserer Gruppe sollen sich außerdem alle Geschlechter, egal ob cis-, trans*/inter*geschlechtlich oder non-binär organisieren können. Wir verabschieden uns vom separierenden und ausschließlich identitätspolitischen Denken.
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Intersektionalität
Intersektionalität beschreibt, dass Diskriminierung auf mehreren Ebenen stattfindet. Es kann sein, dass eine Person nicht nur von einer, sondern von mehreren Diskriminierungsformen betroffen ist. Dabei stehen verschiedene Machtverhältnisse, wie zum Beispiel Sexismus, Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Adultismus und Altersdiskriminierung, Klassismus, Homo- oder Trans*feindlichkeit, in einer Wechselbeziehung zueinander. Unser Aktivismus fokussiert sich auf die Freiheit von Frauen, doch wenden wir uns gegen jede Form von Unterdrückung. Eine Welt, in der weiße, heterosexuelle cis Frauen frei sind, reicht nicht. Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit von Unterdrückung. Im Bewusstsein unserer eigenen kulturellen Programmierung bemühen wir uns um eine intersektionale, diskriminierungskritische Haltung.
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Solidarität
Wir sind parteilich mit allen Betroffenen sexualisierter Gewalt jenseits des Geschlechts und der Umstände erlebter sexueller Übergriffe. Wir sind jedoch eine rein politische Initiative, wir leisten keine Beratung oder Opferhilfe. Darüber hinaus respektieren wir jegliche Entscheidungen, die Frauen in Bezug auf ihre Körper und ihre Lebensentwürfe treffen. Dies beinhaltet neben der Wahl der Kleidung, der Religion, des*der Partner*in, der Beziehungs- und Familienform auch reproduktive Entscheidungen (Verhütung und Abtreibung) sowie die Berufswahl (z.B. Sexarbeit).
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Anmerkung: Wenn wir von Frauen* und Männern* sprechen, dann meinen wir damit die vielen, unterschiedlichen Menschen, die sich als Frau oder Mann fühlen und definieren möchten, egal ob trans* oder cis-, ob teils non-binär oder inter*.
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(1) Mithu M. Sanyal (2016): Vergewaltigung, Aspekte eines Verbrechens
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